(Erstveröffentlichung SFT 8/84)

"Die Sphäre rollt, und nie wird ausgemacht werden, wo eine Geschichte ursprünglich zu Hause ist: Im Himmel oder auf Erden. Der Wahrheit dient, wer erklärt, daß alle entsprechungsweise und zugleich hier und dort sich abspielen und nur unserem Auge es so erscheint, als ob sie herunterkämen und wieder emporstiegen. Die Geschichten kommen herab, so wie ein Gott Mensch wird, werden irdisch und verbürgerlichen sozusagen . . . " (Thomas Mann, JOSEF UND SEINE BRÜDER, Zweites Hauptstück, ABRAHAM, Vom ältesten Knechte).

 

Thomas Mann gibt im ersten Kapitel des Josefsromans (Entstehung zwischen 1933 und 1943) eine ausführliche, nahezu wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Einführung in die alttestamentarische Denkweise über Gott, sein Verhältnis zu Seele, Geist, Materie, über die Geschichte von den Bäumen der Erkenntnis und des Lebens, zum Paradies usw., kurz gesagt, einen Abriß über alttestamentarische Mythologie. Diesen verinnerlicht habend , begibt man sich als christlich geprägter Westeuropäer mit einiger Spannung an die Lektüre der als SF deklarierten Werke des jüdischen Autors Norman Spinrad, dessen Romane DER STÄHLERNE TRAUM und BRUDERSCHAFT DES SCHMERZES in der Bundesrepublik wegen Gewaltverherrlichung auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gerieten, und stellt verblüfft fest, daß Spinrads Romane, soweit hier veröffentlicht, Strukturen biblischer Geschichten so deutlich durchschimmern lassen, daß man sich fragt, ob das Absicht ist, und, wenn ja, zu welchem Zweck.

Daß Spinrad kein reiner Unterhaltungsschriftsteller ist, dürfte nach der großartigen, sehr engagierten Kurzgeschichte "Der große Blitz" 1 feststehen. Spinrad verkündet eine Lehre, vielleicht so etwas wie eine Moral. Nur ist die Moral seiner Geschichten nicht identisch mit der, mit welcher wir seit den Gehr. Grimm unsere Märchen zurechtzustutzen pflegen. Biblische Geschichten sind all es andere als "moralisch". Folglich kommt man bei Spinrads Romanen leicht zu groben Mißdeutungen, läßt man die theologischen Aspekte außer acht; denn die äußerlich simpel aufgebauten Stories, die eingehende Darstellung von Sex und Gewalt werden dann als Klischee und Selbstzweck verstanden. Dieser Gefahr unterliegt allerdings der jüdische Leser weniger als jeder andere. Denn ihm ist der Uraltplot in der Regel so gut bekannt, daß das "Ambiente" der Handlung sogleich an die richtige Steile rückt.

Im folgenden sollen die biblischen Bezüge in den bisher bei uns erschienenen Romanen dargestellt werden:

DASS MICH DAS GROSSE NICHTS UMFANGE (The Void Captain's Tale),2 EINE WELT DAZWISCHEN (A World between),3

LIEDER VON DEN STERNEN (Songs from the Stars)4

einerseits und

BRUDERSCHAFT DES SCHMERZES (TheMen in the Jungle),5

DER STÄHLERNE TRAUM (The Iron Dream),6

CHAMPION JACK BARRON (Bug Jack Barron),7 andererseits, und endlich FLAMMENRITT (Riding the Torch),8

da diese Novelle eine gewisse Sonderstellung einnimmt.

Obige Reihenfolge entspricht nicht der zeitlichen Reihenfolge der Veröffentlichungen. Vielmehr hat die erste Gruppe so etwas wie eine Thematik "Paradies", die zweite die Thematik "Messias" zum Gegenstand. Da diese Romane nicht jedem inhaltlich bekannt sein werden, werden jeweils Inhaltsangaben vorausgeschickt.

Zur Gruppe der Paradiesromane:

Das Stichwort Paradies läßt sogleich denken an Garten Eden, Adam und Eva, Schlange, Sündenfall, Bäume der Erkenntnis und des Lebens, Tod und ewiges Leben, Mensch als Gottes Ebenbild. Genau diese Begriffe machen wesentliche Bestandteile der ersten Gruppe aus. Vorweg ist allerdings folgendes zu bemerken: Schon die biblischen Paradiesstories sind nicht frei von kommentierendem Beiwerk. Wenn beispielsweise die Schlange lockt: "Vielmehr werdet ihr sein wie Gott und wissen was gut und böse ist", Adam und Eva jedoch nach Genuß vom Baum der Erkenntnis als erstes erkennen, daß sie nackt sind und sich verhüllen, impliziert das leicht den Schluß: Sie haben erkannt, daß Nacktheit böse ist. Der Schluß ist falsch, denn Gott hatte sie nackt erschaffen und an ihrer Nacktheit bisher offenbar keinen Anstoß genommen. Irgend jemand hat da kommentierend etwas von gut und böse hineingemischt Es ist aber schwierig, diese Story auf ihren nackten Kern zurückzufuhren, weil nach Neutralisierung der Moralinsäure vom Kerngedanken etwas so Abstraktes übrigbleibt, daß man es kaum erzählerisch wiedergeben kann. Man sollte sich aber immer bewußt sein, daß die "moralischen" Zutaten der Erzähler und Kommentatoren, erst einmal kanonisiert, die Eigenart entwickeln, den Kerngehalt zu überwuchern und ernster genommen zu werden als dieser selbst. Dieser Gefahr jedenfalls ist Spinrad nicht erlegen. Vielmehr wird durch Lektüre seiner Erzählungen der Kerngedanke der biblischen Erzählung für manchen überhaupt erst wieder verständlich oder nachvollziehbar.

DASS MICH DAS GROSSE NICHTS UNFANGE - der deutsche Titel ist leider alles andere als glücklich gewählt - ist die oder besser eine Geschichte vom Sündenfall. Vom Raumschiff FEATHERED SERPENT (Aha!) wechselt die Pilotin Dominique auf das Schiff DRAGON ZEPHYR über (welches außer einem schnuckeligen Paradiesgärtlein noch manche andere Annehmlichkeit für Passagiere bereithält) und verführt den Raumschiffkapitän Genro dazu, das Schiff "blind", d. h. ohne Eingabe der Zielkoordinaten springen zu lassen, um ihn an einer mystischen Vereinigung mit dem "Großen Einen" teilhaben zu lassen, die sich im Augenblick des Sprunges einstellt. Das Experiment gelingt nur teilweise. Dominique stirbt, Genro gewinnt tatsächlich etwas wie eine Supererkenntnis (die man ansatzweise auch durch Lektüre von Frank Capra gewinnen kann), aber das Schiff ist antriebslos mit einigen Dutzend Vergnügungsreisenden (darunter so etwas wie eine Eva) und zehntausend im Elektrokoma schlafenden Kolonisten im Raum zwischen den Sternen verloren. Genro diktiert diese Geschichte wie weiland Josef Conrad ins Logbuch (von wo sie in unsere Bibel gekommen ist oder vielleicht noch kommen wird, wer weiß?). Obwohl Genro selbst seine Geschichte für unmoralisch hält, und das nicht etwa aufgrund der detailreich geschilderten Sexszenen, läßt sich dennoch so etwas wie eine Moral abziehen: Der Drang nach Erkenntnis wird den Menschen, und sei er so vollkommen wie Genro (Adam) stets zur Eingehung tödlicher Risiken verleiten. Und genau das ergibt sich ja auch aus der biblischen Geschichte. Trotz der Warnung "werdet ihr des Todes sterben", essen die ersten Menschen vom Baum der Erkenntnis, um zu erkennen! In dieser SpinradStory erscheint der warnende Gott als Medizinertrio.

Die Handlung des Romans EINE WELT DAZWISCHEN spielt auf dem paradiesischen Planeten Pacifica, womit das Programm - gewaltlose Lösung aller Konflikte - festgelegt ist. Die Versuchung tritt an die überaus tüchtige Regierungschefin Charlotte Madigan und ihren Geliebten und Medienminister Royce Lindblad in zwiefacher Gestalt heran. Denn die Anhänger der männlich (wenn auch nicht ausschließlich) beherrschten Transzendentalen Wissenschaft einerseits und eines weiblich (wenn auch nicht ausschließlich lesbisch) beherrschten Ökoprimitivismus andererseits, versuchen, die Bevölkerung zu missionieren. Auch diesmal gewinnt der Drang nach Erkenntnis die Oberhand. Zwar werden die Missionare ausgetrickst und ziehen sich zurück, aber Pacifica muß sich für einen eigenen, beschwerlichen Weg zur Erlangung fortgeschrittener Erkenntnisse entscheiden. Nach dieser Entscheidung wird unerwartete Hilfe zuteil; schließlich schneiderte ja auch Gott Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies Kleider aus Fellen (Genesis 3,16-24). Der statische Paradieszustand ist jedoch ein für allemal zerstört.

In LIEDER VON DEN STERNEN schildert Spinrad eine paradiesische Hippiekultur, die nach dem großen Krieg übriggeblieben aber ihrem Grundsatz, nur "Saubere" Energien zu verwenden, insgeheim schon lange untreu geworden ist. Denn die Schlange in Gestalt der Wissenschaftler von jenseits der Berge beliefert sie mit teuflischer Hochtechnologie, ohne die das paradiesische Dasein zumindest äußerst unbequem wäre. Der Vollkommene Meister Clear blue Lou (Adam), der in einem besonders eklatanten Fall über die Kommunikationsexpertin Mary Sonnenschein (Eva) richten muß – das naturverbundene Erkenntnisverfahren unterscheidet sich wohltuend von dem aller heutigen Gerichtshöfe – erkennt auch seine eigene Sünde. Beide machen sich auf, um die Botschaften galaktischer Zivilisationen mit Hilfe der Wissenschaftler zur Höherentwicklung der Menschheit zu verbreiten.

In diesem Roman legt Spinrad offenbar besonderes Gewicht auf die biblische Doppelbedeutung von "erkennen". Adam erkannte Eva, und sie gebar ihren ersten Sohn – und sie erkannten, daß sie nackt waren. Erkennen im biblischen Sinn ist ein körperlicher oder geistiger Befruchtungsvorgang. Das wird hier endlich einmal deutlich gesagt und nicht "moralisch" verbrämt.

Im Gegensatz zu diesen vergnüglich zu lesenden Romanen stellt die Gruppe der Messiasromane äußerst hartes Lesebrot dar.

Da ist zunächst BRUDERSCHAFT DES SCHMERZES. Wie die Bundesprüfstelle mitteilt, ist die Indizierung noch nicht bestandskräftig, also wohl noch ein Verwaltungsgerichtsverfahren anhängig. Da hierüber vermutlich in Köln entschieden wird, und nicht etwa nach der Clear Blue Lou-Methode, dürfte das Ergebnis voraussagbar sein. Bart Fraden, der genußfreudige Typ auf dem ständigen Egotrip (Jahwe = Ich, der ist, war, sein wird), muß sich, als Herrscher aus dem Asteroidengürtel vertrieben, in Begleitung seines Generals Willern Vanderling und seiner Mätresse Sophia 0' Hara (da haben wir die unheilige Trinität) einen Planeten suchen, auf den er durch Revolution zur Herrschaft gelangen kann. Das notwendige revolutionäre Potential glaubt er auf Sangue (Blut) zu finden. Dort herrscht eine priesterähnliche "Bruderschaft" (gefallene Engel) unter Führung ihres Propheten Moro (Luzifer). Sie ernähren sich von Gemüsen und im übrigen ausschließlich von Menschenfleisch. Auch Bart unterzieht sich, fest die Augen schließend, ihrem teuflischen Einführungsritual (Babymord). Zu seiner Verblüffung lehnt jedoch die gequälte Bevölkerung seine zur revolutionären Idee aufgemotzten, aufgeklärten Heilslehren als Blasphemie ab. Um die Revolution dennoch in Gang zu bringen, sieht sich Bart Fraden genötigt, Rauschgift anzuwenden und die Nahrungsgrundlage der Bevölkerung zu zerstören, was er der Bruderschaft in die Schuhe schiebt. Die in Rage versetzte Bevölkerung metzelt die Bruderschaft hin und betet Fraden als Gott an. Der ansatzweise zur Gegenrevolution schreitende Willern Vanderling wird gekreuzigt und lebendig gefressen. Die Überlebenden fliehen entsetzensgeschüttelt. Sie wollen nicht Herrscher über eine Bevölkerung sein, in der alle zu "Brüdern" geworden sind.

Vermutlich war es notwendig, die süß(lich)en Heilslehren der etablierten Kirchen dieser äußerst grausamen Revision zu unterziehen; der bittere Trunk aus diesem Kelch schärft jedenfalls den Blick fürs Heilsgeschehen außerordentlich. Die Tatsachen der irdischen Heilsgeschichte (Kreuzzüge, Inquisition, Waffensegnungen, Vernichtung der Indianer und Indianerreiche durch christliche Kolonisten und christkatholische Missionare, "Segnungen" der westeuropäischen Zivilisation in Steinzeitkulturen) werden mit dieser schwarzen Satire nur allzu genau beschrieben. Sicherlich ist Sangue alles andere als ein Paradies. Aber erst die Lüge und das Rauschgift veranlassen den modus vivendi dazu , sich krebsartig wuchernd zur Katastrophe zu entwickeln. Wer will, mag Parallelen ziehen.

Ähnliches dürfte Spinrad auch mit dem ebenso schrecklichen Roman "Der stählerne Traum" bezweckt haben. Dieses Buch ist ein gigantischer Witz der schwarzen Sorte. In einem Paralleluniversum schreibt Adolf Hitler, nach dem ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert, 1953 den SF-Kult-Roman DER HERR DES HAKENKREUZES. Diesen und ein bewußt eher seicht gehaltenes Nachwort des New Yorker Professors Homer Whipple, aus welchem sich ergibt, daß die Sowjetunion im Verlauf der 40er ganz Europa vereinnahmt und ein gigantisches Judenpogrom veranstaltet hat, bringt Spinrad heraus. Natürlich hat er das alles selbst geschrieben. Hauptstück des Buches ist der Roman DER HERR DES HAKENKREUZES, gewissermaßen eine Fortsetzung von MEIN KAMPF, wie sie Adolf vielleicht selbst nach Stil und Inhalt geschrieben hätte, wäre er nicht durch das große Weltgeschehen anderweitig allzu sehr in Anspruch genommen und – Gott sei Dank – frühzeitig genug abberufen worden. Natürlich ist das Buch auch als Satire zum DER HERR DER RINGE gedacht, der, erstmals 1954 veröffentlicht, ja tatsächlich zum Kultroman avancierte, und in dem gewisse Parallelen unverkennbar sind. Zum Inhalt: Ferric Jaggar, einer der wenigen noch genetisch reinen Menschen (die meisten anderen sind als Folge des großen Krieges entsetzlich mutiert), legitimiert sich durch die Tatsache, daß er den großen Knüppel schwingen kann, als Erbe von Heldon. Er macht sich daran, die Erde von allem Degenerierten und rassisch Minderwertigen zu säubern. Das gelingt ihm in wüsten Schlachten. Durch den letzten gelungenen Schlag des großen Widersachers zur sexuellen Unfruchtbarkeit verdammt, erobert die genetisch gereinigte Menschheit in Form ihrer Klone jeweils von einem Jaggar-Klon geführt) das Universum.

Die biblische Parallele findet sich in der Apokalypse des Buches Daniel (Daniel 2,31-45 und Kap. 7). Jaggar löst den Fels aus (der magische Knüppel hat die Masse eines kleinen Berges), der dem Standbild aus Nebukadnezars Traum die gemischt eisern/tönernen Füße zerschlägt; er ist der Menschensohn, der das vorläufig "ewige" Reich beherrscht. Nun wäre Spinrad nicht der, der er ist, hätte er einfach diese Geschichte nacherzählt. Daniels Apokalypse enthält interessanterweise keinen Hinweis darauf, daß Israel als Volk Gottes dasjenige sein wird , über welches der Menschensohn herrscht. Und tatsächlich läßt "Adolf Hitler" seinen Ferric Jaggar die Dominatoren von Zind , die Herrscher des östlichen Mutantenreiches, vernichten, womit eine gewisse Parallele zu den "Weisen von Zion" hergestellt wird, das "Weltjudentum", dessen Bekämpfung sich die Nazis zur vornehmsten Aufgabe machten. Fast möchte man Spinrad spöttisch jiddeln hören: "Und was, wenn der Messias möcht sein kein Jid?" Aus dieser verzweifelten Lage rettet sich der Autor mit ironischem Witz. Tatsächlich aller Menschlichkeit entkleidet, als Ungeheuer, Superdominator, Götze angebetet und mit einem grotesken Ritus (Hakenkreuzformation eines Millionenheeres im preußischen Exerzierschritt marschierender Schwarzuniformierter) verehrt, schießt Ferric Jaggar das erste Raumschiff ab, ein gargantuesker Superorgasmus. Zweifel am Wohlwollen Gottes sind dem Juden erlaubt, wie das Buch Hiob deutlich zeigt.

Leider erschien das Buch in Deutschland zu einem denkbar unglücklich gewählten Zeitpunkt (Oktoberfestattentat, Wehrsportgruppe Hoffmann), so daß mancher sich des Zweifels hinsichtlich der Intentionen des Verlages nicht erwehren konnte.

Mit CHAMPION JACK BARRON erlaubte sich Spinrad wiederum einen lnsiderwitz. Leider scheint das typisch Jiddische bei der Übersetzung großenteils verlorengegangen zu sein, was das Lesevergnügen an der Übersetzung deutlich mindert. Geschildert wird der Höllensturz Satans, verkörpert durch den Milliardär Howards (eine Anspielung auf Howard Hughes, der damals noch lebte, sofern die Geschichte mit der Tiefkühltruhe tatsächlich Fiktion ist). Der Schowmaster (Gott) Jack Barron hält nämlich jeden Mittwochabend vor seinem 100-Millionenpublikum Fernsehgericht, wobei er interessanten Anrufen live nachgeht, die sein überragender Regisseur Vince (sprich Hl. Geist) an ihn weiterleitet. Dabei kommt er finsteren Machenschaften von Howards auf die Spur. Dieser versucht, ihn mit Jacks geliebter Ex-Ehefrau Sara (die hier als Jesus von Nazareth figuriert) und Unsterblichkeit zu kaufen. Tatsächlich lassen sich Jack und Sara Unsterblichkeit verpassen, werden aber dadurch erpreßbar, weil die Operation Kindermord bedingt. Sara opfert sich durch Selbstmord, und Jack macht Howards in der nächsten Show so fertig, daß dieser sich auf buchstäblich ewig, videobewacht, ins Sanatorium zurückziehen muß. Jack wird Präsident der USA werden und diesen Platz seinem Vize, einem Neger mit dem schönen jüdischen Namen Luke Green zur Verfügung stellen. Auf die Anführung von Bibelstellen (Hesekiel, Offenbarung des Johannes) wird hier mal verzichtet, da diese Story bekannt sein dürfte.

In FLAMMENRITT rasen die Überlebenden der Erde mit relativistischer Geschwindigkeit (das gibt hübsche Showeffekte) in 2090 Raumschiffen auf der Suche nach einem bewohnbaren Planeten durchs All und finden nur Wüsten vor. Verzweifelt wenden sich die Scouts an den Medienmann Jofe D’Mahl, der die Erkenntnis, daß es keine neue Erde gibt, zur Heilslehre umformen muß. Es gelingt ihm, und er verkündet: Das Paradies ist bereits erreicht. Die Materie des "leeren" Raumes liefert, was der Körper benötigt, Sensaradia und allwissende Computer liefern die Geistesnahrung, Planeten sind überflüssig. Endlich ist der Mensch nicht mehr nur gottähnlich, sondern selbst Gott geworden.

Manchem mag es als Gotteslästerung erscheinen, wenn Spinrad Menschen in gottähnlicher Pose agieren läßt. Das gilt besonders für die nahezu menschlich dargestellten Protagonisten Bart Fraden und Jack Barron. Dennoch sind die Romane nicht blasphemisch. Mit zunehmender ErkenntnisHihigkeit wird der Mensch, da hat die Schlange nicht gelogen, zunehmend gottähnlicher. Es ist deshalb richtig, wenn Spinrad überholte Gottesvorstellungen karikierend über Bord wirft und Menschen in selbstüberheblicher Gottähnlichkeit über die Fallstricke der Realität (oder des Teufels, was dasselbe ist), stolpern läßt und damit zeigt, wie weit der Weg noch ist. Auch wenn in FLAMMENRITT schon so etwas wie ein Endzustand angedeutet wird, ist die Geschichte vom Baum der Erkenntnis damit noch nicht zuende. "Der Weg ist besser als die Herberge"; für eine gewisse Zeit mag für die Menschheit in FLAMMENRITT Weg und Herberge zusammenfallen, aber selbstverständlich kennt auch Spinrad Stapledons STERNENSCHÖPFER und weiß, daß auch dieses vorläufige Paradies nicht von Dauer ist.

Neben der Verwendung biblischer Plots zeigen die behandelten Geschichten allerdings auch noch weitere Merkmale biblischen Redens. Bekanntlich ist wesentliches Merkmal fast aller biblischen Texte das Reden von Gott, die Verkündigung. Nun läßt zwar Spinrad seine Protagonisten gelegentlich auch die Worte "Gott" oder "Jesus" in den Mund nehmen, dies aber sicher nicht im Sinne einer Verkündigung des Evangeliums, eher des Gegenteils. Trotzdem ist Verkündigung im Sinne von Informationsübermittlung wesentliches Handlungselement Z.B. sind die einzige nennenswerte, interstellare Handelsware Pacificas Fernsehsendungen (Pornographie inclusive), dies jedoch aus einer grundsätzlichen Einstellung heraus, da Pacifica auch über eine elektronische Demokratie verfügt, in der Information über alles möglich und erwünscht ist und per Fernsehschirm und Knopfdruck abgestimmt wird. In LIEDER VON DEN STERNEN wird Verkündung der Existenz einer galaktischen Menschlichkeit zum Antrieb für einen neuen Aufschwung der Menschheit. In CHAMPION JACK BARRON ist es das Videotelephon, welches alle Welt nahezu unmittelbar am Kampfe Jacks mit dem Drachen teilhaben läßt, und in FLAMMENRITT ist eine quasitelepathische Verbindung aller Menschen untereinander und mit den Wissensschätzen der Computer Voraussetzung für die neue Existenz.

Mancher wird Ausführungen über "Die Liebe" vermissen. Dem wäre entgegenzuhalten, daß außer dem "Hohen Lied Salomos" im Alten Testament von Liebe wenig die Rede ist. Außer im STÄHLERNERN TRAUM, der keine Liebe, sondern nur Sendungsbewußtsein und Pflichterfüllung kennt, eventuell noch so etwas wie einen stark männlich homosexuell eingefärbten Fanatismus, kommt in Spinrads Werken die Liebe nicht zu kurz. Eigenartigerweise sind aber die wohl menschlich packendsten Szenen, in denen von Liebe die Rede ist, in den im übrigen ziemlich gräßlichen Romanen BRUDERSCHAFT DES SCHMERZES und CHAMPION JACK BARRON zu finden – vielleicht wegen des größeren Kontrastes. Dennoch muß man wohl feststellen, daß der Fortschritt in der Erkenntnis bei der heutigen Menschheit nicht gerade mit einer Vergrößerung der Liebesfähigkeit gekoppelt ist. Auch insoweit hat Spinrad die richtige, wenn auch harte Konsequenz gezogen: Endzeit kennt keine Liebe mehr, wie der STÄHLERNE TRAUM zeigt. Vielleicht hat er deshalb in den späteren Veröffentlichungen wieder auf die "Zwischeneiszeiten" zurückgegriffen, die es ihm erlauben, das hohe Lied der Liebe zu und zwischen den Menschen zu singen.

 

Anmerkungen

1 (The Big Flash); zuletzt in: Bastei SFSpecial 20054; Berg. Gladbach 1983.

2 Berg. Gladbach 1983; Bastei SF-Special 20050.

3 München 1983; Heyne SF-TB 06/ 3963.

4 Berg. Gladbach 1981; Bastei SF-Special 20025.

5 München 1982; Moewig SF-TB 3574.

6 München 1980; Heyne SF-TB 3783.

7 München 1982; Moewig SF·TB 3562.

8 Berg. Gladbach 1981; Bastei SF-Abenteuer 23003.