Erstveröffentlichung: SFT 136 (Mai 1975)
1. SF-MAGAZINE
Vorformen der SF-Magazine lassen sich in den USA bereits gegen Ende des 19.Jahrhunderts vorfinden.
Der Begriff "Dime-Novel", unter dem verschiedene Heftreihen, auch solche, die SF-Geschichten enthielten, veröffentlicht wurden, weist bereits unmißverständlich auf ihre Erscheinungsform hin: zu einem handlichen Format kamen minderwertigste Papier- und Druckqualität, die das äußerste waren, was ein Preis von 10 Cent zuließ. Die Inhalte dieser "Dime-Novels" umfassten die verschiedenartigsten Themenbereiche: da gab es Western-, Kriminal-, Abenteuergeschichten und eben auch Science Fiction. Diese Serien waren eindeutig auf ein jugendliches Leserpublikum zugeschnitten. Die bekannteste Dime-Novel Reihe, die sich vorwiegend mit SF beschäftigte, war die "Frank Reade, jr" -Serie. Ursprünglich als Fortsetzungsreihe in der Jugendzeitschrift Boys of New York erschienen (ab 1876), wurde sie als eigenständige Heftreihe ab 1892 herausgegeben, nachdem ein reichliches, jugendliches Kaufinteresse vorhanden zu sein schien, was einen kommerziellen Erfolg versprach. Den Inhalt dieser Heftreihe charakterisiert Harry Warner jr in "All our Yesterdays" folgendermaßen:
"The Reade Magazines followed the dictum that Wells later laid down as the way to write science fiction: introduce one unfamiliar factor in a normal environment, and describe what results from the combination. Thoughts of airplanes, submarines, and automobiles were running through boys minds at the end of the 19th century, so these dime novels put heavy stress on the youth of known forms of power to create such futuristic transportation machines as the electric air canoe, electric submarines, steamhorse, deep sea diver, and the slightly anticlimatic electric tricycle."(1)
Ungefähr zur gleichen Zeit wie die Frank-Reade-Serien entwickelten sich Magazine, in denen vorwiegend fantastische und Abenteuergeschichten erschienen, da offenbar ein ausreichender Markt existierte. Auf diesen geworfen wurden sie unter fantastischen Bezeichnungen wie Argosy, Weird Tales oder auch The Thrill Book. Zudem gab es auch noch populärwissenschaftliche Zeitschriften wie Science Monthly und Modern Electrics die ebenfalls regelmäßig SF-Geschichten veröffentlichten In letzterem erschien 1911 auch das berühmte Werk "Ralph 124 C 41 +" des sogenannten "Vaters der SF '', Hugo Gernsback (laut amerikanischer SF-Geschichtsschreibung). Gernsback schrieb den Roman einzig und allein aus dem Grund, weil er noch jeweils etliche Seiten in dem von ihm herausgegebenen Magazin füllen mußte und er sich ansonsten keinen wissenschaftlichen Beitrag aus den Fingern saugen konnte. Gernsback war es auch, der 1926 die erste Zeitschrift auf den Markt warf, die sich ausschließlich der SF -Thematik widmete, nämlich Amazing Stories. Als "Vater" der SF kann Gernsback nur insofern bezeichnet werden, daß er den Terminus technikus für dieses Genre prägte (1929). Er sah in der SF die einzig adäquate Form der Gegenwartsliteratur, da sie ihm als das geeignete Mittel erschien, um die seiner Meinung nach einzig relevanten Ideen des 20. Jahrhunderts, nämlich die der Naturwissenschaften, zu verbreiten. Von diesem hohen Anspruch her ist es zu verstehen, daß Gernsback in den ersten Nummern seiner Amazing Stories fast ausschließlich Kurzgeschichten von Jules Verne H.G. Wells und E.A. Poe nachdruckte, die er als Muster beispiele für das ansah, was seiner Meinung nach SF sein sollte. Nach kurzer Zeit wurde Amazing Stories jedoch von den Autoren dominiert, die für lange Zeit das Durchschnittsniveau der gängigen SF prägen sollten. Da waren beispielsweise Austin Hall, E. Rice Borroughs, der "Vater" Tarzans und Murray Leinster. Unter anderem auch von diesen Autoren wurden einige der auch heute noch gängigen SF-Klischees eingeführt: etwa das Invasionsstandardthema, die berühmte Erfindung, die in letzter Sekunde die Welt rettet, der "mad scientist", Monster aller Art etc. Auch durch die Aufmachung dieses Magazins wollte Gernsback seinen Lesern signalisieren, daß seine Publikationen mit allen anderen "Pulps" nichts gemein hatten (als "pulp magazines" bezeichnet man Zeitschriften, deren miserable Papierqualität in direktem Verhältnis zur literarischen Qualität ihres Inhalts steht).
So wurde das Format der Amazing Stories nicht zu Unrecht als "bedsheet size"(2) bezeichnet (20x28cm), im Gegensatz zu den "billigen" waren die Ecken der Hefte sauber geschnitten, zudem wurde jeder Jahrgang wie bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift exakt durchnumeriert. Drei Jahre lang war Amazing Stories das einzige SF-Magazin, sieht man von den übrigen Gernsback Produkten ab. Im Januar 1930 wurde das SF-Magazin etabliert, das sich als einziges neben Amazing Stories von den frühen bis heute halten konnte. Es handelt sich da bei um Astounding Stories of Super Science das 1960 in Ana1og Science Fiction/Science Fact umbenannt wurde. Berühmt wurde dieses von Harry Bates begonnene Magazin durch die beiden Herausgeber F. OrlinTremaine und John W. Campbell, der das Magazin 1937 übernahm und es bis zu seinem Tode 1971 leitete. Neben diesen berühmten Magazinen entstanden in kürzester Zeit eine Unmenge von ähnlich konzipierten, so etwa Air Wonder Stories, Thri1ling Wonder Stories und Start1ing Stories. Schlägt man eines dieser Magazine auf, so findet man neben dem Fortsetzungsroman einige kürzere Novellen und Kurzgeschichten, wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Abhandlungen, Besprechungen aller Art und einen Leserbriefteil, Hinzu kommen zumeist Anzeigen okkulter Vereinigungen (später auch von UFO Clubs), von Versandbuchhandlungen und Verkäufern von Kinkerlitzchen jeglicher Art. Die meisten der heutigen SF-Größen wurden ausschließlich durch Publikation in diesen Magazinen bekannt: so z.B. E.E.(Doc) Smith, Robert A. Heinlein, Isaac Asimov, Lester del Rey, A.E. van Vogt und Clifforcl D. Simak.
Da SF zu dieser Zeit noch eine Randliteratur war, deren Leser als Vollidioten angesehen wurden, bestanden unter den Lesern und Autoren, die an „ihre Sache“. glaubten, die Tendenz, sich gegen die ihnen feindlich gesonnene Umwelt eng zusammenzuschließen. Mit Hilfe der Leserbriefspalten der Magazine entstanden Fanclubs, die klangvolle Namen wie „Cosmic Circle“ oder „Futurians“ trugen, die eigene Zeitschriften herausgaben, eine eigene Fachsprache entwickelten und parallel zu Einrichtungen der „salonfähigen Literatur“ Konferenzen abhielten und Literaturpreise verliehen. Aus der Überzeugung heraus, daß sie im Gegensatz zu allen anderen Menschen um die wahre Bedeutsamkeit des technischen Fortschritts für die weitere Entwicklung der ganzen Menschheit wußten, entwickelten sie ein ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl, das zu der Behauptung führte, daß „Fans'' wesentlich intelligenter als andere Menschen seien, ja sogar über parapsychologische Fähigkeiten verfügten (nach einem Roman von A.E. van Vogt, in dem ein Mutant die Hauptrolle spielt, wurde der Slogan „Fans are Slans“ geprägt. Es wurde sogar versucht, Fan-Kommunen a ufzubauen, die völlig autark sein sollten: ein sog ... Slan Center" sollte nicht nur über eigene Geschäfte, sondern sogar über eine eigene Energieversorgung verfügen). Diese enge Verbindungen zwischen Produzenten und Konsumenten führte auch dazu, daß sich ein großer Teil der späteren SF-Autoren, Lektoren und Herausgeber aus den Reihen des sog. „Fandoms“ rekrutieren. (vglch. Kling/Seeßlen, Romantik und Gewalt, Lexikon der Unterhaltungsindustrie, Stichwort „Fandom"). Durch die Entwicllung der Produktivkräfte, die verlangt, daß nun auch ein einfacher Arbeiter bis zu einem gewissen Grade mit technischen Problemen vertraut sein muß, spielt Technik (bzw. die Naturwissenschaften) eine immer größere Rolle im Leben des Menschen.
Da SF sich vornehmlich mit solchen Problemen allgemeinverständlich auseinandersetzt und dazu noch sensationell aufgemacht ist, verliert sie allmählich ihre Randposition.
Außer von diesem Kreis von Eingeweihten wurde SF bis etwa zum Ende des Zweiten Weltkrieges durchweg von Jugendlichen konsumiert. Da SF in dieser Zeit ihren Ruf als minderwertige Literatur noch nicht verloren hatte, blieb ihr bis ca. 1950 fast ausschließlich das Medium der Magazine vorbehalten. Die literarische Produktion bei diesen Magazinen war im Prinzip mit industrieller Fließbandproduktion vergleichbar; dabei war die Quantität des gelieferten Materials weitaus wichtiger als die Qualität. Demgemäß vollzog sich auch die Bezahlung der Autoren - der Inhalt ihrer Lohntüte bestimmte sich aus schließlich nach der Anzahl der gelieferten Worte; in der Anfangsphase der Magazin-SF schwankte die Bezahlung zwischen einem halben und einem Cent pro Wort, und auch heute ist die Art der Bezahlung noch die gleiche, lediglich die Höhe hat sich geringfügig geändert. Hier zeigt sich der Warencharakter von Massenliteratur in vollendeter Form: von primärem Interesse ist die Realisierung des Tauschwertes, während der Gebrauchswert zunächst als sekundäres Problem auftritt. Der bekannteste Herausgeber eines SF - Magazins, John W. Campbell, drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus:
"The authors effort in science fiction writing, or any other type of writing, is to please the editor sufficie ntly to make a sale. "(3)
oder aber:
„The author tries to please the editor, and the editor tr ies to figure out what the reader wants.“ (4)
Die Kriterien zur Annahme einer SF- Geschichte durch einen editor stellt Campbell folgendermaßen dar:
„Astoundigs policy is free and easy - anything in science fiction that is a good yarn is fine by us . .. (5) Das Motto, unter dem die SF -Produktion stattfand, war also:
„We don’t want it good, we want it Wednesday.“(6) Die Gebrauchswertseite, die zunächst als sekundär eingeschätzt wurde, bekommt jedoch dadurch mindestens gleichrangige Bedeutung, daß sie sich als Vermittlerin bürgerlicher Ideologie ausweist. Die Produktionsbedingungen fördern die Anpassung an die herrschenden bürgerlichen Normen und Wertvorstellungen; die Bezahlung nach Worten beispielsweise verhindert eine konsequent kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen, daher werden die Erkenntnisschranken, denen die bürgerliche Gesellschaft unterworfen ist, ständig reproduziert. Zudem sind die Autoren, die fast durchweg aus kleinbürgerlichen Schichten stammen, mit diesen Wertvorstellungen aufgewachsen. Daher erscheint es auch nicht verwunderlich, daß sie die literarische Produktion entscheidend beeinflussen. Gesellschaftlicher Fortschritt wird schlechthin mit technischem Fortschritt gleichgesetzt, wobei nie oder nur höchst selten die Frage nach dem Herrschaftszusammenhang gestellt wird, in dem sich Technik befindet. Von daher läßt sich auch der oben erwähnte Überlegenheitsanspruch der SF gegenüber anderen Literaturformen erklären. Robert A. Heinlein, auch heute noch als beliebtester SF-Autor in den USA anerkannt, vertritt folgende Überzeugung: „Science fiction joyously tackles the real and pressing problems of our race, wrestles with them, never ignores them - problems which other forms of fiction cannot challenge. For this reason I assert that science fiction is the most realistic, the most serious, the most significant, the most sane and healthy and human fiction being published today." (7)
Daher wird auch die Behauptung verständlich: "Speculative fiction is the mainstream of fiction - not, as most critics assume, the historical novel and the contemporary-scene novel:“ (8)
Als Beispiel für die Wichtigkeit der SF führt er an:
„It has prepared the youth of our time for the coming age of space."(9)
Sein Verhältnis zu anderen Literaturformen der Gegenwart beschreibt er wie folgt:
"In my opinion a very large portion of what now is being offereed the public as serious, con-temporary-scene fiction is stuff that should not be printed, but told only privately - on psychiatrist’s couch."(10)
Diese Statements sind vor dem Hintergrund eines bestimmten Geschichts- und Wissenschafts-Verständnisses verständlich: Geschichte wird als willkürlich, im Prinzip statisch, ohne innere Gesetzmäßigkeit ablaufend verstanden. Dies zeigt sich etwa in den zahllosen Zeitreisegeschichten, in denen die gesamte Menschheitsgeschichte vom rein willkürlichen Eingreifen Einzelner abhängig gemacht wird - nach Auffassung dieser Autoren ändert sich der Lauf der Welt ganz entscheidend etwa dadurch, daß ein armer Zeitreisender im Tertiär eine Fliege tottritt. Da durch ein solches Verständnis sich menschliche Geschichte regel-los vollzieht, muß sich der Begriff "Wissenschaft" logischerweise auf die Naturwissenschaften beschränken, denn die Bewegungsgesetze der Gesellschaft werden nicht erkannt.
"Sociology, psychology and parapsychology are, today, not true sciences ... "(11)
Die Aufrechterhaltung und Verbreitung dieser Ideologie gewinnt in der sich verschärfenden Systemauseinandersetzung zunehmend an Bedeutung, was sich vor allen Dingen in der während des kalten Krieges produzierten SF zeigen sollte.
2. DIE SF WIRD SALONFÄHIG
Durch die im zweiten Weltkrieg herrschende Papierknappheit mußten die meisten SF-Magazine ihr Erscheinen einstellen. Auch nach 1945 erlangten sie bei weitem nicht mehr die Bedeutung, die sie früher gehabt hatten. Es wurden zwar eine ganze Reihe neuer SF -Magazine gegründet (die bekanntesten von ihnen dürften Galaxy und The Magazine of Fantasy and Science Fiction sein), von denen die meisten jedoch im Laufe der Fünfziger Jahre wieder eingingen. Bis zum heutigen Tage haben sich nur 6 SF-Magazine halten können, deren Auflagenhöhe und Bedeutung jedoch ständig weiter zurückgeht. Der Rückgang der Bedeutung der SF-Magazine hing unmittelbar mit der Entstehung eines neuen literarischen Mediums zusammen: das Taschenbuch verdrängt die Magazine. Während alle wichtigen SF-Romane früher zuerst als Fortsetzungsreihen in Magazinen erschienen waren, wurden sie nun sofort in Buch bzw. Taschenbuchform veröffentlicht, wodurch die SF-Magazine ihre Anziehungskraft verloren und nur noch von einem kleinen Kreis von Fans gelesen wurden. In England waren zwar vor dem zweiten Weltkrieg ebenfalls einige SF-Magazine entstanden, die im Prinzip direkte Ableger der amerikanischen Vorbilder waren, sie er reichten aber nie die gleiche Bedeutung, die diese Magazine in den USA hatten. Hauptsächlich läßt sich dies dadurch erklären, daß die englische SF eine völlige andere Tradition als die amerikanische hat; während England immerhin einen H.G. Wells aufzuweisen hat, können die USA nur einen Hugo Gernsback vorzeigen. Die formale Qualität der englischen SF war im Durchschnitt auch erheblich besser als die der amerikanischen, obwohl die vermittelte Ideologie die gleiche war.
Die Zurückdrängung der Magazin-SF spielte vor dem Hintergrund der Erschließung neuer Märkte für das Genre, SF-Autoren waren nicht mehr ausschließlich an die Publikationen in Magazinen gebunden. Autoren wie Wyndham, Sturgeon und Bradbury veröffentlichten zwar noch gelegentlich in pulps, konnten ihre Arbeiten jedoch auch in zunehmendem Maße an renommierte Zeitschriften wie American Mercury, Colliers und Mademoiselle verkaufen. Daran läßt sich bereits ein zunehmendes Interesse an SF ablesen.
Für die Zunahme des Interesses an SF sind vor allem drei Hauptpunkte verantwortlich. Zum einen bestätigten sich viele Voraussagen über naturwissenschaftliche Innovationen da die SF- Literaten oft die reale Entwicklung fiktiv vorweggenommen hatten. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die Erwähnung der Atombombe in Geschichten von Heinlein, von Satelliten durch A.C. Clarke und generell die Prophezeihung der Raumfahrt. So avancierte SF quasi im Bewußtsein weiter Teile gerade der amerikanischen Öffentlichkeit zu ·einer prognostischen Literatur. Die Ursache für diese richtigen Voraussagen liegt weniger in der seherischen Leistung einzelner Autoren begründet, sondern ist wohl eher auf einen anderen Umstand zurückzuführen:
"Wenn man ein halbes Jahrhundert lang wild in alle Richtungen um sich feuert, muß man irgendwann einmal irgendetwas treffen." (12)
Nachdem sich die SF so als "prophetische" Literaturgattung bewiesen hatte, konnte sie nun das real bestehende Bedürfnis nach Vorhersagen künftiger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen für sich nutzen. Die Instabilität des kapitalistischen Systems machte besonders durch das veränderte Kräfteverhältnis zugunsten des realen Sozialismus in steigendem Maße eine gewisse Planung in allen gesellschaftlichen Bereichen notwendig, beispielsweise die steigende Rolle des Staates im Produktions- und Reproduktionsprozess . Pseudowissenschaftlicher Ausdruck dieser Tendenz war die Schaffung der wissenschaftlichen Disziplin Futurologie, die bis heute eigentlich nur bewiesen hat, daß eine echte Planung im Kapitalismus unmöglich ist. Literarischer Ausdruck dieser Entwicklung ist das steigende Ansehen der SF. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit für die Zukunft hat daneben auch noch eine subjektive Seite. Hauptgrund für das zunehmende Gefühl der Unsicherheit war der Einsatz der Atombombe im Zweiten Weltkrieg. durch den der Untergang der Welt zu einer realen Möglichkeit geworden war. Nur allzu gerne wurden die in der SF angebotenen Scheinlösungen, so widersinnig sie auch sein möchten (z.B. Rettung der Erde durch überintelligente Außerirdische), akzeptiert. In diesem Zusammenhang sind auch die erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg massenhaft auftretenden UFO-Sichtungen zu erklären. All diese Ursachen führten dazu, daß SF nicht nur in immer größerem Maße publiziert wurde und ihre Stellung als geächtete Subliteratur verlor, sondern daß SF-Themen auch verstärkt von anderen Medien aufgegriffen wurden. Besonders durch das neue Medium Fernsehen ergaben sich neue Verbreitungsmöglichkeiten. Der berühmteste SF-Film aus dem Anfang der fünfziger Jahre ist "Destination Moon", der nach dem Roman "Rocket Ship Galileo" von Robert A. Heinlein entstand. Dieser SF-Film war mit der erste, der sich durch hervorragende optische Effekte auszeichnet und alle Inspiration für die Aufnahme von SF in andere mediale Bereiche gedient hat (Pop-Musik).
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde besonders die amerikanische SF im Zuge der allgemeinen verstärkten Einflußnahme des US-Imperialismus in die Länder exportiert, die unter seinem Einfluß standen. Dabei ist das Phänomen zu beobachten, daß es vom Entwicklungs- und Verbreitungsgrad der einheimischen SF abhing, inwieweit die amerikanische SF Wurzeln schlagen konnte, die nationale verdrängte oder aber auch keinen oder kaum Fuß fassen konnte. Klassische Beispiele für diese beiden Möglichkeiten sind Italien und die BRD. Während in Italien eine eigenständige, hochentwickelte, politisch engagierte SF bereits in Ansätzen bestand und sich weiter entwickelte, (bekanntester Vertreter ist Dino Buzzatti), dominierte die amerikanische SF fast zwei Jahrzehnte lang den westdeutschen SF-Markt und führte dort all die Klischees ein, die noch nicht in spezifisch deutscher Form vorhanden waren. Der amerikanische Einfluß ging soweit, daß einheimische Autoren, wollten sie überhaupt eine Geschichte verkaufen, englischsprachige Pseudonyme annehmen mußten, daß längst totgeglaubte Primitivformen amerikanischer Magazin-SF in der BRD neue Triumphe feierten. Während in den USA die in den dreißiger Jahren entstandenen "space operas" (die bekanntesten Beispiele sind die "Lensmen" und die "Skylark"-Serie von E.E. Smith) zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgesunken waren, erreichte die "Perry Rhodan"-Serie, die exakt die gleichen Handlungsschemata verwendet, im Bereich der SF noch nie gesehene Massenauflagen. (Gesamtauflage bis heute ca. 85 Mio.). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß die "Perry Rhodan"-Serie, in Westdeutschland konzipiert und zu Ruhm und Erfolg gekommen, nun in die USA exportiert wurde.
Nachdem die SF aus ihrer früheren Randgruppenposition herausgetreten war, was sich sowohl in einem vergleichsweise extrem höheren Verbreitungsgrad, der den des Western übertraf und den des Kriminalromans allmählich einholt, widerspiegelte, als auch in ihrem zunehmenden Renommee. Die von SF-Autoren und -fans vergebenen Literaturpreise (die britischen Sf-fans vergaben von 195 1-57 den "International Fantasy Reward"; die amerikanischen seit 1953 den "Hugo", die Autorenvereinigung der "Science Fiction Writers of America" vergibt seit 1966 den "Nebula Award". Eine Liste der Preisträger ist nachzulesen in: Th.D. Clereson", Science Fiction: the other side of realism", S. 348ff) werden mehr und mehr vom Verlagswesen als zugkräftige Werbemittel eingesetzt. Das bereits erwähnte Überlegenheitsgefühl der SF-Gilde wird durch diese Preise, die gerne als "Nobelpreise der SF" bezeichnet werden, zudem bestätigt.
Das erweitere Lesepublikum der salonfähig gewordenen SF setzt sich aus dem traditionellen Leserkreis von Lehrlingen, Schülern und Studenten, und in zunehmendem Maße aus Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz zusammen. Während sich die SF noch zur Zeit des kalten Krieges vorwiegend überaus plumper formaler und ideologischer Mittel bediente (z . B. Heinlein "The sixth column") -wenn auch seit Beginn der Fünfziger Jahre verstärkt sozialkritische SF auftritt (z. B. Bradbury, "Fahrenheit 451) oder Pohl/Kornbluth "The Space Merchants"), die jedoch .angesichts der Erkenntnisschranken bürgerlicher Weltanschauung beim resignativen Kulturpessimismus verharren muß - entwickelte sich später die Art von SF, die speziell auf das neue Leserpublikum, die genannte wissenschaftlich-technische Intelligenz abzielt. Dabei spielt es eine nicht zu unterschätzende Rolle, daß viele der bekanntesten Autoren selber eine naturwissenschaftliche Ausbildung genossen haben und als Verfasser von wissenschaftlichen bzw. pseudowissenschaftlichen Werken beim Leserpublikum bekannt sind. Durch den wissenschaftlichen Ruf vieler SF-Autoren (z. B. Asimov, Heyle, Clarke) fühlen sich Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz naturgemäß zu den Arbeiten dieser Autoren hingezogen, andererseits gibt das so erweiterte Leserpublikum den Autoren auch die Möglichkeit, verstärkt Themen zu verarbeiten, die dem Erfahrungsbereich dieser Schicht entstammen.
Um für dieses erweiterte Leserpublikum die adäquate Literatur sein zu können, mußte die SF folgende Bedingungen erfüllen: einerseits mußte sie dem Wissenschaftsverständnis dieser Leserschaft entsprechen, außerdem mußte ihre stilistische Qualität in etwa der "gehobenen" Literatur entsprechen, andererseits mußte die wohlbekannte Ideologieverbreitung mit dem "Holzhammer" der subtileren "Wertfreiheits"-Ideologie weichen. Entsprechend den realen Verhältnissen steht nicht mehr der Superheld, bzw. der allmächtige Wissenschaftler, wie z.B. noch bei Gernsback im Vordergrund, stattdessen findet die Tatsache, daß sich wissenschaftliche Arbeit heutzutage primär unter Kollektivformen vollzieht, zunehmend literarischen Niederschlag. Die Funktionen dieser leicht modifizierten Ideologieträger lassen sich folgendermaßen definieren: Die angesichts der sich ständig verschlechternden sozialen Lage der wissenschaftlich-techn. Intelligenz in der kapitalistischen Gesellschaft sich tendenziell vollziehende Politisierung soll gestoppt, zumindest aber gebremst werden, klare gesellschaftliche Erkenntnisse, die aus der Klassenlage gezogen werden, unterbunden werden. Die reibungslose Identifikation mit den technokratischen Abläufen soll durch Hinterfragung der Macht - und Herrschaftsverhältnisse, in denen diese stehen, nicht gefährdet werden, die Frage nach der Funktion der Tätigkeit der wissenschaftlich- techn. Intelligenz in der Gesellschaft soll aus Herrschaftsinteresse bereits im Keim ihrer Entstehung abgewürgt werden. Durch die Identifikation mit technokratischer SF wird die Illusion vermittelt, die imperialistische Gesellschaft sei als Trägerin und Garant des menschlichen Fortschritts nicht an die ihr innewohnenden Schranken der Produktivkraftentwicklung gebunden. Über dies sei der technische Fortschritt nicht an gesellschaftliche Systeme der Gegenwart gebunden, sondern auf der momentanen Stufe der Produktivkraftstandes entwickle er sich per se weiter. Damit wird unmittelbar an die herrschende Konvergenztheorie angeknüpft. Da sich der technische Fortschritt selbständig vollzieht, auch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Schwierigkeiten von selbst verschwinden werden, und der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus angeblich langfristig in einer einheitlichen "Industriegesellschaft" verschwinden wird, die einer Unzahl von Sachzwängen hervorruft, die im Ansatz schon heute enthalten sind, (sowohl in dem Kapitalismus als auch im Sozialismus), erscheint jegliche gesellschaftsverändernde Tätigkeit als sinnlos, da man nicht gegen die hypostasierten Sachzwänge angehen könne.
3. FORMALE NEUERUNGEN - DIE "NEUE WELLE"
Mitte der sechziger Jahre entstand in England eine neue Art von Science Fiction, die sich - wenigstens auf den ersten Blick - von allen bisherigen SF-Formen grundlegend unterschied. Das kurz nach dem zweiten Weltkrieg von Ted Carnell ins Leben gerufene SF-Magazin New Worlds wurde von Michael Moorcock übernommen, der bisher ausschließlich durch seine blutrünstigen "Sword & Sorcery"-Geschichten und Tarzan-Stories von sich reden gemacht hatte. Moorcock änderte die Konzeption von New Worlds vollständig. Er verwandelte das ehemals normale SF-Magazin in ein Avantgarde-Literaturmagazin, das ein integraler Bestandteil der Drogenszene werden sollte. Die Geschichten, die dort abgedruckt wurden, befaßten sich nicht mehr wie die konventionelle SF mit dem "outer space" sondern mit dem sog. "inner space", der als der Raum verstanden wurde, in dem sich Psyche und Realität treffen. Diese auf den ersten Blick so neu anmutenden Geschichten, unterschieden sich von herkömmlicher SF vor allem durch drei Hauptmerkmale, Zum ersten wurden verstärkt Gegenwartsprobleme aufgegriffen (wie z.B. der Vietnam-Krieg, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung), zum zweiten waren ein großer Teil der New Wor1ds-Geschichten reine Stilexperimente (etwa ein Dadaismus uns Surrealismus anknüpfend), Neuverarbeitungen von alten Mythen gepaart mit einem Schuß Existentialismus - ein Sammelsurium von modernen und bereits wieder aus der Mode gekommenen bürgerlichen und antibürgerlichen Stilrichtungen. Dabei wurde auch nicht vor den letzten in der konventionellen SF noch vorhandenen Tabus haltgemacht, die primär das Gebiet der Sexualität betrafen (Beispiel: Norman Spinrad, "Bug Jack Barron"). Während das britische Arts Council dieses veränderte New Wor1ds sogar für eine Subvention würdig befand, reagierte ein Teil der Vertreter herkömmlicher SF mit Stürmen der Entrüstung, die darin gipfelten, daß ein gewisser John J. Pierce einen "heiligen Krieg" gegen die "New Wave" forderte. Adressat der "New Wave"-Produkte war der junge bürgerliche Intellektuelle, der aufgrund seiner mangelnden Einsicht in die Entwicklungsgesetze der imperialistischen Gesellschaft keine Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen sah und von daher versuchte, seine unzulängliche soziale Situation durch eine Flucht ins Irrationale zu kompensieren. Hier zeichnet sich eine äußerst aufschlußreiche historische Parallele ab: die Untersuchungen Georg Lukacs über den Einfluß der Philosophie Nietzsches auf die bürgerliche Intelligenz im beginnenden Imperialismus. Aufgrund der gleichgebliebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den sich daraus entwickelnden spezifischen Fragestellungen für die junge bürgerliche Intelligenz können daher die Ergebnisse der Lukacs sehen Untersuchungen nahezu uneingeschränkt auf die antibürgerliche "New Wave"-SF angewendet werden - wie überhaupt auf die gesamte subkultureile Bewegung des "Underground". Lukacs sieht:" ... eine tiefe Unzufriedenheit mit der Kultur der Gegenwart, ein "Unbehagen an der Kultur ", wie Freud es bezeichnet, eine Auflehnung dagegen, jedoch eine Auflehnung, bei der der "Rebell" unter keinen Umständen die eigenen parasitären Privilegien und deren soziale Basis angetastet sehen möchte." (13). Der "soziale Auftrag", den Nietzsches Philosophie erfüllt, besteht darin, diesen Typus der bürgerlichen Intelligenz zu "retten", zu "erlösen", ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch, ja jede ernsthafte Spannung mit der Bourgeoisie überflüssig macht; einen Weg, auf dem das angenehme moralische Gefühl, ein Rebell zu sein, weiterbestehen bleiben kann, sogar vertieft wird, indem der "oberflächlichen", "äußerlichen" sozialen Revolution eine "gründlichere", "kosmisch-biologische" lockend gegen übergestellt wird". (14)
Die wichtigsten Vertreter der "New Wave" sind J.G. Ballard, der der "New Wave" verwandte Geschichten bereits in den fünfziger Jahren schrieb und als der geistige Motor der "New Wave" zu betrachten ist, Joh T. Sladek, der fast als einziger versucht, eine in Ansätzen konsequente Gesellschaftskritik zu üben, Thomas M. Disch, der die formalästhetisch anspruchsvollsten "New Wave" - Geschichten schreibt, sowie Brian W. Aldies und John Brunner, die beide als Verfasser konventioneller SF bekannt wurden, später aber auf die "New Wave"-Linie umschwenkten.
Die Drogenbewegung, die auch Hauptursache für die "New Wave'' gewesen sein dürfte, brachte auch eine Ausweitung des Bereiches der medialen Formen, in denen SF Themen verarbeitet wurden. An erster Stelle ist dabei die sich als "progressiv" vorstehende Rockmusik zu nennen. Bekannteste Beispiele für die Verwendung von SF in der Rockmusik sind etwa "Set the Controls for the Heart of the Sun" und "Interstellar Overdrive" von Pink Floyd, "Starship Troopers" und "Tales From the Tobagraphie Ocean" von Yes, "Watcher from the Skies" und "Get me Out by Friday" (das übrigens überraschend sozialkritisch engagiert ist) von Genesis; diese Aufzählung ließe sich beliebig verlängern.
Einzige Auswirkungen der "New Wave" auf andere SF waren, daß sexuelle Tabus in der SF allgemein verschwanden und daß hier und da einzelne stilistische Experimente gewagt wurden, was sich beispielsweise in den "Orbit"-Anthologien von Damon Knight zeigt.
Die letzten Entwicklungen in der SF gehen dahin, daß sich Uraltformen der Magazin-SF einen Stammplatz auf dem Markt sichern können, was beispielsweise die Tatsache belegt, daß das führende Sf-Magazin, im Moment Analog ist, das sich der "Hard-Core SF ", d.h. den extrem technokratischen SF-Formen verschrieben hat. Im Zusammenhang mit dem immer noch steigenden Renommee der SF beschäftigen sich sehr viele, vor allem amerikanische Universitäten mit SF und bieten auch Kurse über das Schreiben von SF an, die sich in der Zwischenzeit als die Hauptquelle für neue Autoren erwiesen haben. Als Beispiel kann man die "Clarion-Workshops" anführen, aus denen recht bekannte Autoren wie Geo. Alec Effinger hervorgegangen sind.
Anmerkungen: (1) Harry Warner jr., All our Yesterdays, Chicago 1969
(2) Amazing Science Fiction Stories, ed. Ted White, Vol. 45 No. 1, S.4
(3) Lloyd Arthur Eshbach, ed. Of Worlds Beyond, Chicago 1963, S. 91
(4) ebda., S. 95
(5) ebda., S. l00
(6) Basil Davenpert, e d. The ScienceFiction Novel - Imagination and Social Criticism, Chicago 1973, S. 39
(7) ebda., S.45
(8) ebda., S.41
{9) ebda., S.46
(10) ebda., S. 42/43
(11) Eshbach a.a.O. S.91
(12) Eike Barmeyer, ed. Science Fiction - Theorie und Geschichte, S.l19
(13) Georg Lukacs, Von Nietzsche z u Hitler oder der Irrationalismus in der deutschen Politik, Ffm 1966, S. 32
(14) ebda., 5 .33