2025-04-08 Horst Pukallus Exklusiv-Beitrag.

Szene. Bis zum 31. Januar konnten Nominierungen für den Kurd Laßwitz Preis 2025 eingereicht werden, mit dem die besten Werke im Bereich der deutschsprachigen Science Fiction des Jahres 2024 ausgezeichnet werden. Nominiert wurde für die Preis-Kategorie "Beste Graphik zur SF" ein Werk von Olaf Kemmler. Allerdings lehnte ein Vorauswahlgremium die Aufnahme der Grafik in die Nominierungsliste wegen "extremen Sexismus" des Motivs ab. Für Horst Pukallus, selbst vielfach mit dem renommierten Genre-Preis ausgezeichnet, war das Anlass, das Bild näher unter die künstlerische Lupe zu nehmen.

Gutachten zu Olaf Kemmlers Kunstwerk »Galaktische Bühne«
Veröffentlicht als Cover-Illustration zu Michael Steinmann: »Irgendwo ist immer gestern«. Lesewuth-Verlag, Essen 2024.

Das graphische Werk ist, ohne dass es Autor oder Illustrator bewußt gewesen sein muss, in voller Übereinstimmung mit dem Buchinhalt kongenial, in beidseitiger Kongenialität, ausgewählt worden. Wenn soetwas geschieht, ist es ein Anzeichen ernstzunehmender Kunst.

Das Bild zeigt einen Sternenhimmel- und Wasserhintergrund, aus dem eine Gestalt im Astronautenanzug hervortritt. Die Himmelssektion wird von einem walzenförmigen Raumflugkörper dominiert. Linksseitig ragt eine Säule empor. Im Vordergrund liegt eine rückseitig sichtbare, ausgestreckte, unbekleidete Frau, die mit der Linken einen Kelch erhebt, als ob sie die Astronautenperson begrüßt. Offenbar ist die Bevölkerung des exoterrestrischen Planeten humanoid.

Damit ist die Beschreibung des Bildwerks im Wesentlichen abgeschlossen.

Die Handlung des Romans schildert den Kontakt des Vertreters einer »höheren Zivilisation« mit der Kultur einer »unterrangigen Zivilisation«, ein in der Science Fiction beliebtes Motiv. Mit diesem Inhalt korrespondiert das Bildwerk in der harmonischsten Art und Weise.

Den Background füllt ein Sternenhimmel aus, der eindeutig Bezug zum ptolemäischen Firmament hat, das die Erdscheibe wie eine Glocke überwölbte. Die Astronautenperson hat diese Barriere durchstoßen, außerhalb der es eigentlich nichts geben soll, und nähert sich den Indigenen eines ihm fremden Planeten. Für sie wird dies Kontaktaufnahme, ob zum Guten oder zum Schlechten, einschneidende Veränderungen zeitigen

Weil die Astronautenperson eine rückständige Gesellschaftsformation kontaktiert, stellt sich die Frage, wer der Adressat dieser Kontaktierung ist. Die Darstellung kann nur so interpretiert werden, dass das Modernisierungsangebot vornehmlich beim weiblichen Teil der Indigenenpopulation Anklang findet, denn die Frauen des Exoplaneten heißen die Astronautenperson willkommen. Sie erhoffen sich von diesem Kontakt eine Verbesserung ihres gesellschaftlichen Status. Die Nacktheit der indigenen Frau ist ein Symbol für die quasi jungfräuliche Offenheit gegenüber den bevorstehenden Wandlungen. Ihre Einstellung bedeutet noch zu erschließendes gemeinsames soziales Terrain. Indem sie der Astronautenperson zutrinkt, gibt sie ihre Bereitschaft zu erkennen, sich auf ein künftiges gedeihliches Zusammenwirken einzulassen.

Die Wasserfläche kann in zweierlei Hinsicht gedeutet werden. Den Mythen der Antike zufolge werden Göttinnen, Halbgöttinnen und andere weibliche Wasserwesen stets aus dem nassen Element geboren und bleiben bisweilen auch darin wohnen (Nymphen, Nixen). Das bekannteste Beispiel ist die Geburt der Venus aus einer Muschel. Daher wird in Kunstgeschichte und Psychologie die Weiblichkeit mit Feuchtigkeit assoziiert. Ein Bezug zum primären weiblichen Geschlechtsteil liegt nahe. Die Wasserfläche auf dem Cover kann also in Verbindung mit der abgebildeten Frau als Metapher für die Aufgeschlossenheit der indigenen Frauen des Exoplaneten gegenüber dem Neuen interpretiert werden.

Allerdings ist es auch möglich, in dem Wasser ein Symbol für den Fluss der Zeit zu erblicken, in dessen Strömen auch die Zukunft des Exoplaneten und seiner Bewohner sich vollziehen wird. Die Kontinuität des Zeitstroms bleibt bestehen, aber das supremative Neue, verkörpert durch die Astronautenperson, sprudelt hinein und eröffnete Alternativen. Wie die männlichen Humanoiden des Exoplaneten reagieren, ist kein Thema der Illustration und muss deshalb nicht erörtert werden. Ich stelle beide Auslegungen gleichberechtigt nebeneinander, sehe sie also in Korrelation.

Die linksseitige Säule ist als Wahrzeichen des auf dem Exoplaneten existenten Konservativismus zu deuten: Gleich wie genau er auch beschaffen sein mag, er stützt sich auf ein starres System, das in augenfälligem Gegensatz zu der offenkundig weltoffenen Frau auf der rechten Seite steht. Zweifellos muss die Obrigkeit feste Stützen haben (politische Institutionen und Organisationen), die in unverkennbarem Antagonismus zur Weichheit und Verhandlungsbereitschaft der präsenten Frau stehen. Die Säule und die Frau sind Postulate unvereinbarer gesellschaftlicher Tendenzen. Diese Dualität ist ein starkes künstlerisches Moment.

Der oben mittig vorhandene Raumflugkörper ist als Exponent der technischen/wissenschaftlichen Überlegenheit der Zivilisation der Astronautenperson zu bewerten. Er hat durchaus etwas Bedrohliches. Darum kann er auch als Warnung an alle Beteiligten verstanden werden, denn nicht alle Kontakte zwischen stark unterschiedlichen Kulturen nehmen einen positiven Verlauf. Aus der Geschichte kennt man zahlreiche Gegenbeispiele. Die Gefährlichkeit dieser Konstruktion wird durch die Friedensfertigkeit der indigenen Frauen erheblich relativiert. In der Gesamtsituation geht von der abgebildeten Frau ein beruhigender, wohltuender Einfluß aus, der die Hoffnung auf eine gemeinsame gedeihliche Zukunft begründet.

Zusammenfassung.

Die Illustration ist ein genuin künstlerisches Werk der Phanstastik und muss hoch bewertet werden. Sie verbindet klare klassische Thematik mit Elementen kontemporärer Sujets der Science Fiction und verkörpert daher eine gelungene Synthese antiker und moderner Ausdrucksformen. Insgesamt ist »Galaktische Bühne« bei intellektueller Betrachtung ein Schmuck für den Verlag, der es veröffenlicht.

Wuppertal, April 2025
Horst Pukallus