2025-03-18 Walter Jost SF-Nachrichten-Beitrag.

Literatur. Pünktlich zur 75. Frankfurter Buchmesse, die vom 16. bis 20. Oktober in der Stadt am Main stattfand, hat das Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen Literaturkanon vorgelegt. Die Listung ist in Ausgabe 42 vom 12. Oktober 2024 erschienen und präsentiert die „besten Werke der deutschsprachigen Erzählliteratur von 1924 bis 2024“. Die Auswahl hat eine vierköpfige Jury getroffen, der die Germanistin Eva Horn, der Publizist Jan Philipp Reemtsma, die Kritikerin und Verlagsleiterin Miryam Schellbach und der Germanist und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl angehören.
Es ist wenig überraschend, dass Science Fiction oder Fantastik hier eher nicht vertreten sind. Es sei denn, man zählt Kafkas Roman Das Schloß zum fantastischen Genre im weitesten Sinne.

Und doch wird immerhin auf Position 28 der 100 vorgestellten Werke eine Erzählung genannt, die mit Science Fiction zu tun hat: Arno Schmidts (1918-1979) KAFF auch Mare Crisium, erschienen 1960. »Für manche ist er der Größte, andere können seiner Prosa nichts abgewinnen. Dieser Roman ist jedenfalls eines der interessantesten literarischen Projekte der jungen Bundesrepublik, dabei handelt er doch von einem Paar, das auf dem Land seine Tante besucht.«

Ungewöhnlich ist hier auch, dass Schmidt überhaupt Erwähnung findet. In entsprechenden Aufstellungen wird er sonst gern vergessen und übergangen. Vermutlich wirkte Reemtsma hier als Korrektiv. 

Schmidt ist kein Freund linearer Erzählweisen und verwendet hier eine spezielle phonetische Art des Schreibens. Im KAFF gibt es drei Erzählebenen. Die reale schildert tatsächlich einen Besuch des Protagonisten, gemeinsam mit seiner Freundin, bei seiner Tante in der Lüneburger Heide. Zur Bespaßung seiner Begleiterin entwickelt der Erzähler Karl, der als Schmidts Alter Ego verstanden sein kann, eine Geschichte um eine amerikanische Station auf dem Mond. Dummerweise ist man dort auf sich allein gestellt, da auf der Erde ein Atomkrieg stattgefunden hat. Schmidt spart nicht an bissigen Seitenhieben auf die us-amerikanische Kultur. Die dritte Ebene schließlich ist eine Adaption des Nibelungenliedes, vom „Hofpoeten“ - ein weiteres mögliches Alter Ego Schmidts - des lunearen Vorpostens in die frühe Nachkriegszeit der Bundesrepublik transformiert.
Im Internet gibt es eine Projektseite, die sich als „digitales Handbuch“ zu Schmidts Roman versteht: »Es soll Materialien, Dokumente und Kommentare bereitstellen, die das Verständnis des komplexen Textes und die Auseinandersetzung mit ihm fördern.« Zu finden unter www.mare-crisium.de.

Bei dem Spiegel-Kanon geht es um die „deutschsprachige Erzählliteratur“. Vielleicht gibt es aus dem Kreise der Leser dieses Beitrags Hinweise, dass wichtige Veröffentlichungen aus dem fantastischen Bereich übersehen worden sind. Sonst lassen wir das mal so stehen.